Antworten sind gefragt – Leitartikel von Jan Dörner

Die Entwicklung der deutschen Parteienlandschaft

Ein Blick in die 1970er-Jahre lässt uns in eine Zeit zurückblicken, in der die Welt noch einfacher erschien. Zumindest für die deutsche Parteienlandschaft war dies der Fall. Bei der Bundestagswahl 1972 erhielt die SPD 45,8 Prozent der Stimmen, knapp gefolgt von der Union mit 44,9 Prozent. Die FDP erhielt 8,4 Prozent und bildete gemeinsam mit den Sozialdemokraten eine Regierung. Die Wahlbeteiligung lag bei 91 Prozent und sonstige Parteien erhielten 0,9 Prozent. Ein solches Ergebnis wäre heute undenkbar. Die Grünen, die PDS (heute Linke) und die AfD haben den Volksparteien Stimmenanteile abgenommen, da sie die Interessen bestimmter Gruppen vertreten, die sich von Union und SPD nicht ausreichend repräsentiert fühlen.

Der Trend zur Individualisierung

Die Auffächerung des Parteienspektrums ist an sich kein Alarmsignal, sondern entspricht einem Trend zur Individualisierung einer Gesellschaft, die vielfältiger, offener und freier ist als vor 50 Jahren. Im Gegensatz zu den USA ist Deutschland an Koalitionsregierungen gewöhnt. Sowohl Wähler als auch Politiker betrachten Alleinregierungen als absolute Ausnahme. Dies hat zu einer Kultur politischer Kompromisse geführt. Die Bürger haben die Wahl zwischen verschiedenen Optionen und nicht nur zwischen zwei Parteien und ihren gesellschaftlichen Lagern, die sich zunehmend unversöhnlich gegenüberstehen.

Die Sorge um steigende Nichtwählerzahlen und Zersplitterung

Dennoch gibt es Grund zur Sorge. Die Zahl der Nichtwähler hat zugenommen und der Anteil der Kleinstparteien ist stark gewachsen. Bei der Bundestagswahl 2021 haben knapp neun Prozent der Wähler ihre Stimme kleinen Parteien gegeben, die keine Aussicht auf Gestaltung haben. Die Zersplitterung der Parteienlandschaft erschwert die Bildung handlungsfähiger Regierungsmehrheiten. Diese Entwicklung ist in anderen europäischen Ländern schon lange zu beobachten und könnte sich auch in Deutschland weiter verschärfen.

Das schwindende Vertrauen in die politische Mitte

Dies ist nicht nur eine Folge der gesellschaftlichen Individualisierung, sondern auch des schwindenden Vertrauens in das Angebot der politischen Mitte. In einer Zeit voller Unsicherheiten, in der wichtige Zukunftsfragen wie der Umgang mit dem Klimawandel verhandelt und beantwortet werden müssen, suchen die Menschen nach Antworten. Aktuell zeigt sich dies besonders an der AfD, die trotz ihrer Spaltung der Gesellschaft und dem Versprechen, im Status quo zu verharren, Rekordwerte in den Umfragen erreicht. Populismus kann jedoch keine Zukunftsfragen beantworten.

Die Bedeutung von Antworten und Lösungen

Der Trend zu den politischen Rändern lässt sich auch an Umfragen ablesen. Die Menschen suchen nach Antworten und Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit. Es liegt an den etablierten Parteien, diese Antworten zu liefern und das Vertrauen der Wähler zurückzugewinnen. Nur so kann die Zersplitterung der Parteienlandschaft eingedämmt werden und handlungsfähige Regierungsmehrheiten geschaffen werden. Antworten sind gefragt.

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